Kreuzfahrt und Aliens in Wien

“Kreuzfahrt und Aliens in Wien”

Ich sitze im Regen in Wien! Glücklicherweise werde ich nicht nass, weil die Bar am Heck unseres langen Schiffes ein Dach hat. Die Temperatur ist von gestern 35 Grad auf heute 18 Grad gesunken. Es gibt wirklich keinen echten Sommer mehr! Die Nacht war schlimm, da wir hier am Kai lagen und ein "Kaffee-Schiff" (MS "Kaiserin Elisabeth") gegen 23 Uhr an uns angedockt hatte. Direkt neben unserem Fenster. Dass es üblich ist unter den ganz langen Schiffen, nebeneinander festzumachen, hatte ich nicht gewußt. Auch nicht, dass auf diesem “Kaffee-Schiff”, welches uns im Schlaf erwischte wie ein Raumschiff mit Aliens, bis 3 Uhr geräumt und neu beladen sowie die Kaffeegedecke zum nächsten Frühstück eingedeckt werden würden. Die Beleuchtung des Nebenschiffes glich dem, welche man aus Science-Fiction-Filmen kennt: grell und furchtbar hell, irgendwie unheimlich. Da halfen uns auch unsere Vorhänge nichts! Eine der schlimmsten Nächte meines Lebens! An Schlafen war vor Arbeitsende auf dem Alien-Schiff nicht zu denken gewesen. Dafür waren die beiden Tage in dieser wunderschönen Stadt mit viel Wiener “Schmäh” einfach zauberhaft. Gestern hatten wir bei 35 Grad extrem zu schwitzen gehabt, auch aufgrund der minimalen Geschwindigkeit der Erklärungen der Reiseleiterin. Heute waren wir allein unterwegs gewesen, was auch aufgrund mehrerer Wiener Leckereien, die uns über den Weg liefen (am Rathausplatz zum Beispiel die beste Himbeerbowle, die ich je getrunken habe) weitaus angenehmer und relaxter ausgefallen war. Trotz der nunmehr nur noch 18 Grad und des sporadischen Regens. Wien strotzt nur so vor Geschichte und Kultur, die historischen originalen und wiederaufgebauten Gebäude sind atemberaubend und versetzen einen in die Vergangenheit. Orts-Orientierung an einem besonderen Gebäude, wie ich es sonst in Städten tue, die ich nicht kenne, war aufgrund der immensen Anzahl der Bauten unmöglich. Aber es gibt ja die "Ringstraße", an der entlang sich Museen, Parlament, Rathaus und eine Menge Parks reihen wie Perlen auf der Schnur. Orientierung an dieser und einen Aufenthalt in ihrer Nähe kann ich nur empfehlen. Ich hatte übrigens mein "Kind" immer im Geiste mit dabei! Aufgrund der Geschichte ist Wien sehr römisch geprägt, und an jeder Ecke findet sich eine lateinische Inschrift. Eins der wichtigsten Bücher, die Leo vor der Amerikareise noch eingepackt hatte, war das Lateinlehrbuch gewesen, damit sie nicht zu sehr aus der Übung kommen würde. Ich habe extra viele Fotos von den historischen Inschriften gemacht, mit denen ICH nichts anfangen konnte, und bestimmt viel zu viele Fotos an Leo geschickt. 
Dafür kann ich mich ein wenig mit unserer Schiffsbesatzung verständigen, die wie das Schiff aus der Ukraine stammt. Leo, in der Ukraine wird Ukrainisch UND Russisch gesprochen! Wir hatten letztens gerade noch überlegt, was wohl die Landessprache dort wäre. Ukrainisch! Mein Russisch ist trotz jahrelangem Pflicht-Unterricht in der DDR rudimentär, aber "Spacibo" (Danke!) und "Nasdrowje" (Prost!) kriege ich noch hin. In der Wiener Innenstadt liefen uns immer wieder die "Popstars" aus dem 18. Jahrhundert über den Weg, unser Liebling Wolfgang Amadeus natürlich, aber auch Haydn, Beethoven...Strauss, Wagner. Und wir waren sogar in der Wiener Staatsoper, bekannt durch den Wiener Opernball. Das war mehr eine Notlösung gewesen, weil es so schlimm geregnet hatte, aber wir bereuten es nicht, dieses ebenfalls gigantische Gebäude gesehen zu haben. Das ist auch etwas für Nicht-Opern-Fans. Definitiv. Vor allem die vielen Geschichten, die sich um das Gebäude ranken und vom Guide in breitem Wiener Dialekt erzählt worden waren. Stundenlang hätte ich ihm zuhören können. Das "Hotel Sacher" erwies sich als Beherberger eines tollen "Mozart-Cafe's", in dem Leo auf jeden Fall die "Original-Landtmann-Sacher-Torte" probiert hätte. Ich war froh, dass wir uns vom Schiffs-Mittagessen abgemeldet hatten und den Tag in Wien verbrachten. Wir hatten auch zwei rätselhafte endlos lange Schlangen gesehen und uns gefragt, wonach die Menschen dort anstanden. Eine nette Wienerin hatte uns aufgeklärt: unten im "Hotel Sacher" wird die originale Sacher-Torte in einem extra “Sachertorten-Shop” verkauft, die allerdings in den Cafe's genauso schmecken würde. Viele der zahlreichen asiatischen und anderen ausländischen Besucher wollten aber unbedingt DIESE berühmte Torte aus DIESEM berühmten Geschäft als Andenken mit nach Hause nehmen. Bei der Hitze! Viel Spaß! Wir hatten uns dann eine “Torten-Trilogie” und Wiener Spezial-Kaffee in gemütlicher Umgebung, unter dem Vordach geschützt vor dem plötzlichen Regenschauer, gegönnt. Angenehme Bekanntschaft schloss ich mit einer Wiener Taxi-Fahrerin, ohne in ihrem Taxi mitzufahren. 
An der Straßenbahnhaltestelle "Nussdorf" im 19. Bezirk (von 24), einem von den Wiener Rand-Bezirken, in deren Nähe unser Schiff ankerte, mußten wir die Straßenbahn suchen. 
Und so traf auf eine dieser Personen, die einem sofort sympathisch sind. Wir verwickelten uns in ein Gespräch über “Gott und die Welt” und Klamotten. Ihr Dialekt war so herrlich, am liebsten wäre ich mit dem Taxi in die Stadt gefahren, um noch länger mit ihr fachsimpeln und lachen zu können. Nur die strengen Blicke meines lieben Mannes hielten mich zurück. Im Verabschieden rief sie mir noch zu:”Du hast so a tolle Hos’n a...wollt’s nur gsagt ham!” 
Wien ist nicht umsonst gerade in den letzten Tagen als 2. lebenswerteste Stadt der Welt gekürt worden. Dazu ist sie in meinen Augen noch extrem liebenswert. Hamburg erreichte den 10. Platz, den Rest habe ich vergessen. Es macht sich dringend notwendig, denke ich, Wien in nächster "nach-amerikanischer" Zeit nochmal zu besuchen. Unbedingt!! Versprochen, Leo! Vielleicht mit Willi und Ani?! Jetzt warten wir auf ein neues opulentes mehrgängiges ukrainisches Mahl auf unserem Donau-Kreuzfahrer, heute haben wir Kartoffelpuffer mit Sauerrahm als Hauptspeise gewählt, Schiffs-Abendessen. Mein Mann bringt mir einen Weißwein und es sieht gerade so aus, als würde die Sonnen wieder herauskommen. Das Leben kann so schön sein! Obwohl... Gerade meinte mein Mann mit ernstem Gesicht, die MS "Kaiserin Elisabeth" würde dort in der Ferne Kurs auf ihren Liegeplatz aus der letzten Nacht halten...grrrrrr. Mir fällt gerade noch auf, dass wir gegen Abend Richtung Budapest zu einer Nachtfahrt starten und er nur einen Scherz gemacht hat! Kleiner Scherzkeks! Ich war kurzzeitig vor Schreck erstarrt gewesen. Ich bin auf unseren Liegeplatz in Budapest gespannt, und natürlich auf die Stadt, die ich vor 30 Jahren zum vorletzten und vor 17 Jahren zum letzten Mal besucht und wiedergeliebt hatte. Das vorletzte Mal ist mir weitaus besser in Erinnerung. Wir konnten damals lediglich 15 Mark am Tag in Forint umtauschen, nächtigten in einem Studentenwohnheim. Als Gegenleistung schmuggelten wir Taschen voller ungarischer Strick-Pullover mit aufgestickten Blumen, die in der DDR damals der Renner waren, mit nach Hause. Kein Geld war übrig, um die vielen urigen Budapester Restaurants zu besuchen. Unser Essen mussten wir uns selbst kochen. Meist hatte es verschiedene mitgebrachte Sorten Tütensuppe oder trockenes Brot gegeben. Getrunken wurde Leitungswasser und das getauschte Geld gaben wir für Klamotten aus: Blusen aus "Windelbaumwolle", T-shirts oder Jeans. Alles, was Mangelware im "Osten" war. Ich kaufte mir in der Markthalle hochhackige Stiefel aus Sabine Reese “Plötzlich ausgewandert?” 27 Patchwork-Jeansstoff, mit Nieten verziert, die so teuer waren, dass es für nichts anderes mehr gereicht hatte. Aber das war es wert. Ende der 80er Jahre war ich mit DEN Stiefeln der Star in jeder Disco gewesen und hatte es genossen. Und wir schwitzten extrem vor Aufregung im Zug wie die Schwerstarbeiter wegen der gefühlten 150 Schmuggel-Pullover in unseren Reisetaschen, die tatsächlich nur 20 Stück waren, bis wir endlich die Grenze bewältigt hatten. Dass mir jeder meine kriminelle Energie ansehen könnte, hatte ich mir nur eingebildet, denn erwischt wurden wir nicht. Schon damals hatte ich Schwierigkeiten, wenn es um Unehrlichkeit oder Ungerechtigkeit ging. Selbst, wenn ich not-schwindele, denke ich heute noch, kann jeder das an meiner Nasenspitze erkennen. Auch Ungerechtigkeiten machen mich heute immer wieder wütend, aber mittlerweile schaffe ich es besser, meine Unmutsbekundungen für mich zu behalten. Denn nicht immer hilft es, gegen Ungerechtigkeiten anzugehen oder zu kämpfen. Auch das mußte ich lernen, wenn es auch schwer fiel. So, mein liebes kleines Hasen-Kind in Texas! Fotos zu schicken, funktioniert mit dem Schiffs-Wifi leider nicht. Ich habe so viele Fotos speziell für dich gemacht! Mozart ist auch dabei. Muss ich wohl verschieben sie dir zu schicken. Cynthia hat mich erinnert, dass heute euer erstes Treffen mit allen Austauschschülern stattfindet, die mit deiner Austauschorganisation in die Umgebung von Dallas gekommen sind. Ich hoffe, ihr habt alle ganz viel Spaß, und Susan, eure Betreuerin ist nicht so zerstreut wie am Anfang, als sie deine Nationalität mit "Französisch" mitteilte und alle Emailadressen falsch waren. Hauptsache, alle sind nett! Und eure selbstgemachten "meatballs" kommen gut an! Übermorgen fängt die amerikanische Schule für dich an! Dann ist "Urlaub" vorbei und es wird ernst. Ich bin so gespannt und denke an dich! 
Hier auf der Donau! Unser “Urlaub” fängt ja gerade erst an.

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