Epcot

 “Epcot”

Leo durfte sich im Vorfeld einen der Disney-Themenparks aussuchen, und hat das “Epcot-Center” gewählt, wo ich im Jahre 1993 schon einmal gewesen war. Vor nunmehr tatsächlichen 25 Jahren! Unglaublich, wie die Zeit rennt. Ich erinnere mich noch gut, besonders an die rasanten Fahrten mit den Attraktionen dort und an das Abschluss-Feuerwerk am Abend. “Epcot” war 1982 als zweiter Vergnügungspark des Walt-Disney-World-Resorts nach “Magic Kingdom” eröffnet worden, und es stand für die Zukunft und neue Entwicklungen, für neue Technologien und Systeme. 1982 hatten wir in der DDR weder Telefon zu Hause noch mehr als zwei schwarz-weiße Fernsehprogramme gehabt. Kassettenrecorder waren hochmodern gewesen und an Internet war noch nicht zu denken gewesen. Ich hoffte, man würde die Attraktionen, die ich vor 25 Jahren genossen hatte, erneuert haben. 
Frühstück fällt aufgrund der Kantinen-Befütterung aus, Leo holt sich lediglich ein fladenähnliches Brot, das mit gebratenem Speck gefüllt ist, während Pete und ich die passende Schlange für den Bus nach “Epcot” suchen. Sooo viele Schlangen zu den verschiedenen Disney-Resorts: Animal-Kingdom, Magic Kingdom… Hollywood Studios. Und überall lange, lange Schlangen. Für Rollstuhlfahrer gibt es separate Zugänge, sie und ihre Familien dürfen immer zuerst die Busse besteigen. Und alles läuft hervorragend organisiert, beaufsichtigt und ruhig ab, was mir großen Respekt abnötigt. Da ich generell Anstehen, Drängeleien oder Wartezeiten hasse, bin ich dankbar für diese flüssige Variante.
Am großen Parkplatz angekommen, versuchen wir uns gut zu merken, wo wir uns am Ende des Tages wieder einfinden müssen, laufen ein Stück und kommen bei den Einlasstoren an. Wir sind früh dran, aber auch hier gibt es bereits lange Schlangen. Ich kann sofort durch, weil ich keinen Rucksack oder eine größere Tasche habe, die hier alle kontrolliert werden. Meine beiden warten auf die Kontrolle, während ich schon zu einem der Kassenhäuschen gehe, wo ich unsere geldkartenähnlichen Eintrittskarten entgegennehme. Nun muss ich nur noch Leo und Pete wiederfinden! Acht oder mehr Schlangen stehen an den vollelektronischen Park-Eingängen, auf die sich jetzt die Menschenmassen verteilen, die den Haupteingang passiert haben. Wo sind die beiden bloß? Gut, dass Pete so groß ist und wir ein Handy haben. Per SMS verständigen wir uns, dass ich gaaaanz links warte und da sehe ich sie dann auch schon. Auf geht’s ins Getümmel. Wir haben pro Nase um die 100 Euro bezahlt, was viele sehr teuer finden. Ist es wohl auch, aber wann kommen wir schon mal hierher, und dann noch in Familie?
“Spaceship Earth” ist tatsächlich seit meinem Besuch vor 25 Jahren unverändert in der monumentalen Kugel untergebracht, in der man in die Urzeit des Menschen entführt wird, indem man in kleinen Wagen bis in die “Spitze” der Kugel gefahren wird. Spitze der Kugel! Mein ehemaliger Mathelehrer, Herr Lehmann, dreht sich gerade im Grabe um. Aber ich hoffe, er lebt noch und genießt seine Rente! Perfekt animierte menschengroße Figuren spielen die unterschiedlichen Etappen der menschlichen Kommunikation nach. 13 Minuten lang und nach wie vor sehr interessant. Ein Tag reicht nicht aus, wir haben das Gefühl, hier Tage verbringen zu müssen, um alles Sehenswerte bewältigen zu können. Absolutes Highlight der Attraktionen ist für mich der Flug durchs All und um die gesamte Erde.
Ich halte die Luft an und lasse weit unter mir die Vulkane, die Ozeane, die rennenden Steppentiere, die Eisbären und die Häuser der Großstadt New York vorbeirauschen. Alles, als wenn man ganz real mit allen möglichen Arten von Flugkörpern darüber hinwegfliegen würde. Wahnsinn!
Das macht Hunger und Durst! Wir begeben uns in den Bereich der elf hier vertretenen Länder um den Epcot-See herum, in die “World Showcase”. Mexiko ist das erste vertretene Land, was sich mit Kunst, Kultur und Essen vorstellt. Wenn man vom Essen nicht enttäuscht werden will, ist hier der richtige Platz, so sagt mir meine kulinarische USA-Erfahrung. Mexikanisches Essen ist solide. Es gibt eine Zahl von Restaurants, von Selbstbedienung bis hin zu weiß gedeckten Tischen in der großen Azteken-Pyramide, wo es uns aber zu dunkel ist. Wir finden um diese Zeit aber auch noch einen Tisch direkt am Epcot-See auf der kleinen Außenterrasse, wo ich warte. Und Pete und Leo bedienen sich mal wieder selbst, kommen mit einer bunten Mischung aus Burritos und Nachos zurück, von der wir alle satt werden.
Weiter geht es zur skandinavischen Anna-und Elsa-Welt à la “Frozen”. Dort reizt uns nur der Süßkram und Leo und ich teilen ein leckeres “school bread”. Die Attraktion am norwegischen Pavillon, bei dem wir bestimmt 20 Minuten anstehen müssen, verlassen wir fluchtartig wieder, als wir uns mit Anna und Elsa persönlich fotografieren lassen sollen. Die vielen wartenden kleinen Mädchen sind teilweise in dieselben Outfits gekleidet wie ihre Stars aus dem Trickfilm. Leo und mir ist das gar nichts. Diese kitschige Kleinmädchen-Show finden wir albern. Aus dem Alter sind wir beide raus!
Im China-Pavillon gefällt es uns viel besser. Es wird in einem 360-Grad-Kino keine Attraktion gezeigt, aber ein Film über China, der sehr interessant und beeindruckend ist. Auch die Gebäude sind sehenswert und versetzen uns kurzzeitig nach Asien, bevor wir im deutschen Bayern-Pavillon mitten in der Karamell-Küche landen. Nichts besonderes hier für uns! Ein witziges Foto mit Weihnachtsutensilien und einer Menge Bierkrüge schießt Pete dann doch noch. Jetzt ist der Amerika-Pavillon dran, der im Inneren mit seiner Oval-Office-Optik beeindruckt. Die Show zur amerikanischen Geschichte auf der großen Bühne wirkt hölzern und angestaubt. Ich meine, mich an sie erinnern zu können...
In Japan gibt es eine Trommelshow und Tanzvorführungen, die uns unheimlich gut gefallen.
Und im Frankreich-Bereich erlebt mein Paris-Fan und Liebhaber der französischen Küche ein Crêpes-Erlebnis der besonderen Art. Es gibt dort extra einen Stand für diese typisch französische Leckerei und Leo kann nicht widerstehen. Doch anstatt die Crêpes wie üblich auf der großen heißen Platte zu backen, werden sie vom Personal einfach wie Wäschestücke von einer Leine genommen, mit Zucker und Zimt bestreut und mit Sahne besprüht, sie kommen fertig gebacken aus der Verpackung. Vollkommen un-französisch. So schmecken sie dann auch, und Leo ist tief enttäuscht. Das hatten wir selbst in Deutschland schon hundertmal besser!
Die Pavillons von Kanada und England empfangen uns mit landestypischen Gebäuden in Kleinformat, mit viel Holz im ersteren und einem Gartenkonzert im letzteren. Von beiden sind wir vollkommen begeistert. Wir haben das Glück, genau zu der Zeit dort zu sein, als eine Country-Band ein kleines Konzert gibt. Die Sängerin kommt aus… Dallas! 
Uns beginnen die Füße zu schmerzen, wir denken an Abendbrot und finden trotz unserer vielen Mühen keinen Platz in einem der unzähligen Restaurants, was daran liegen mag, dass Tausende Besucher das Gleiche versuchen, aber viele von ihnen so clever waren, vorher einen Platz reserviert zu haben. Genau das wurde immer wieder empfohlen, der wichtige Hinweis war aber von uns leichtfertig missachtet worden. Dafür mussten wir jetzt büßen. Kein Tisch in der riesigen Azteken-Pyramide, kein Stuhl beim teuren Italiener für uns ist frei. So landen wir auf kalten Eisen-Stühlen im mittlerweile schmuddeligen Außenbereich des skandinavischen Pavillons neben einer großen Familie, denen das Benehmen ihrer Kids völlig egal ist… und wir wünschen uns Anna und Elsa zurück.
Der Salat und das belegte Brot sind kalt und mittelmässig, schlimmer sind die Kinder, die ihr Essen herumwerfen und brüllend herumtoben.
Wir sitzen nur so lange auf den harten Stühlen wie unbedingt notwendig und laufen weiter, im Dunkeln sieht alles ganz anders aus. Wir haben auch nicht wirklich viel Energie mehr, wollen aber das Abschluss-Feuerwerk um 21 Uhr noch sehen. Um 22 Uhr fährt der letzte Bus. Pete besorgt mir einen Kaffee mit “Baileys”, für sage und schreibe 9 Euro, und ich schlürfe ihn mit ganz kleinen Schlückchen, um ihn ja richtig auszukosten.
Wir haben noch 30 Minuten bis zum Feuerwerk, die besten Plätze am Rand des Sees sind bereits von den Familien eingenommen worden, die ihre Bereiche mit Buggys und Kinderwagen blockieren. Leo ist saft- und kraftlos, hält aber durch. Wir sitzen zeitweise auf Rasensteinen oder im Garten des China-Pavillons. Immer wieder fragt sie, ob es die Sache wert ist und wir nicht vielleicht doch auf das Feuerwerk verzichten sollten, um das danach gleich wieder zu verwerfen.
Es ist wie im Leben: Kämpfen und Durchhalten ist angesagt. Dann sieht man irgendwann am Ende des Lebenstunnels auch wieder ein Licht… oder das große Epcot-Feuerwerk wie heute. 
Und es HAT sich gelohnt! Finden wir alle, und ich lobe Leo (und mich innerlich ebenfalls) für ihre Standhaftigkeit. Wir bewundern gemeinsam die Feuerfontänen am Himmel und die nicht ganz so gut sichtbaren Feuerräder und -bilder auf dem See. Es regnet rote, silberne und goldenen Glitzersterne vom Himmel, untermalt von Musik. Blaue Fontänen steigen von der Wasseroberfläche auf. Die “Aaaaah’s” und “Oooooh’s” der Zuschauer begleiten die unzähligen bunten Explosionen, und das Feuerwerk taucht den ganzen Park in silbernes und glitzerndes Licht. Plötzlich ist Ruhe. Schluss. Auf einmal ist es wieder dunkel. Jetzt aber fix zum Bus, die Menschenmassen setzen sich wie eine Herde Gnus Richtung Ausgang in Bewegung, denn 22 Uhr wird der Park geschlossen.
Wir finden den Bus-Stellplatz, die übliche Schlange und letztendlich hundemüde auch unsere Betten. Ich will noch ein wenig mit Leo den Tag auswerten, schaffe aber gerade noch zu nuscheln, dass wir das auf morgen verschieben und wünsche meinen beiden Lieben eine “good night”...
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