Geburtstagsgedanken

57...oder Gedanken am Geburtstag 

Um kurz nach 5.00 Uhr bin ich aufgestanden, wie an jedem Tag seit fast einem Jahr, an dem mein kleines “Kind” zur Schule muss oder mein Mann zur Arbeit. Ich habe Kaffee gekocht, Lunchpakete gepackt und Frühstück gemacht. Mein Nachteulenkörper ist allerdings zu schwach, um dann schon munter zu bleiben. Also habe ich mich noch einmal ins Bett gekuschelt, nachdem Tochter und Ehemann mir noch zum Geburtstag gratuliert hatten. Ohne Blumen, ohne Kuchen und ohne jegliche Überraschung. 
Ich war ziemlich enttäuscht noch einmal ins Reich der Träume geglitten und hatte versucht, die Einfallslosigkeit meiner Familie und meine Mimosigkeit zu entschuldigen und wegzuträumen. 
Mein Mann hatte sich nicht frei genommen, obwohl er nur an drei Tagen in der Woche arbeitet und das durchaus möglich gewesen wäre. Ich denke, das war nicht einmal böse Absicht gewesen, er hatte es einfach vergessen. 
Sieht so eine harmonische Beziehung im 10. Jahr aus? Mir ist wehmütig ums Herz. Alleinsein fällt mir nicht schwer. Ich finde immer eine Beschäftigung, meistens auch eine nützliche. Nur heute nicht.
Ich habe Geburtstag und bin allein...mal abgesehen von den spanischen Handwerkern auf dem Innenhof unseres Mietshauses, die einen Mordslärm verursachen. 
Ich muss wohl für meine Kinder und meinen Enkel im Leben bisher so an die 45 Geburtstagsfeiern ausgerichtet und organisiert haben, überschlage ich grob. Mit Überraschungen, selbstgebackenem Kuchen und Basteleien. 
Und ich habe zwei linke Hände!
Nun sitze ich in meiner kanarischen Küche, die nun schon fast zwei Jahre unser zweites Zuhause ist, bei meinem üblichen Frühstück: einem Apfel, Kaffee, Toast mit Marmelade und Manchego-Käse. Schmeckt wie immer, obwohl ich heute Geburtstag habe.
Dank der modernen Technik erreichen mich eine Menge viraler Glückwünsche. 
Sogar ein Anruf von meiner Freundin Andrea, die gerade Weiberurlaub auf Rügen macht. Ich bin etwas neidisch und vermisse meinen Garten, den ich jetzt gern an mein trauriges Herz drücken würde. Wenn er nicht an die 3.500 Kilometer Luftlinie entfernt wäre.
Mir fehlen die Freunde...heute besonders. Keiner kann mal schnell auf ein Gartenfrühstück, einen Nachmittagskaffee oder ein spontanes abendliches Grillen vorbeikommen. Neue oder spanische Freunde sind schwer zu finden.
Ich denke an die vielen so unterschiedlichen Geburtstage in meinem Leben. 
So lange waren viele schon her. Aber in jedem Jahr hatte ich gefeiert, auf welche Art und Weise auch immer.
Als Kind hatte ich mich jedes Jahr aufs Neue gefreut, ein Jahr älter zu werden, obwohl die Geschenke eher bescheiden ausfielen und es meist Klamotten und Süßes gegeben hatte. In einem Jahr, ich denke , es war mein 13. Geburtstag, hatte ein noch glühender Streichholzkopf beim Kerze anzünden mein einziges Geschenk, den neuen “Silastik”-Pullover, getroffen und in Windeseile ein Loch hinein geschmolzen. Das hatte mein Mutter später kunststopfen lassen. Und ich hatte ihn noch mehrere Jahre getragen.
Meinen 18.Geburtstag hatte ich mit Freundinnen zusammen beim zünftigen Zelttanz auf dem Dorf begangen. Es war einer meiner Schönsten gewesen, den Führerschein frisch in der Tasche und endlich für das Erwachsenenleben bereit. Einer mit soviel Leichtigkeit wie ich sie wohl nie wieder erlebt habe. Wenn ich an dem Tag geahnt hätte, dass ich zwei Jahre später zum ersten Mal Mutter werden würde, hätte ich sicherlich noch viel ausgelassener gefeiert damals.
Meinen 25. habe ich ganz allein in einem Zimmerchen in dem kleinen Häuschen am Rand von Berlin verbracht, in dem ich zur Untermiete gewohnt hatte. Meine Familie war weit weg gewesen. Er war auf einen Wochentag gefallen und keiner meiner Kollegen aus dem Verlag hatte Zeit für mich gehabt. Dann war doch noch mein Freund Steffen vorbeigekommen und hatte mir einen sehr innigen Abend bereitet. 
Vier Jahre später habe ich dann die erste große Hinterhof-Party ausgerichtet. Nach dem Fall der Berliner Mauer, selbständig und mit einer Menge netter Kollegen und einem eigenen Büro in Berlin-Mitte ausgestattet. Das hatte sich so viele Jahre wiederholt, dass es schon dazu gehörte wie ein guter Kaffee zum Beginn eines Tages.
Ich glaube, dadurch hatte ich auch die Übergänge in die 30er gut überstanden und mir war eine “midlife-crisis” erspart geblieben. Viel Arbeit, Kinder und Berlin! Das Geheimrezept hatte geholfen.
Zum 35. Geburtstag hatte meine Stieftochter Sandra mir als angehende Konditorin ihre erste selbstgemachte Schokoladentorte geschenkt.
An meinen 40. Geburtstag erinnere ich mich als wäre er gestern gewesen.
Ich war leider nicht mehr in Berlin und hatte eine Menge Lebens-Ruinen hinter mir gelassen. Dafür war ich Mutter einer gerade Laufen lernenden reizenden kleinen Tochter geworden. Es hatte im “Dorfkrug” meiner neuen Heimat eine riesige Party für mich gegeben, mit unzähligen Gästen und einem strippenden Studenten aus Magdeburg, der wohl mehr für die Gäste gedacht war als für mich. Er war nett und hervorragend gebaut, aber der Gedanke, noch einmal von Dutzenden belustigter Gäste dabei beobachtet zu werden, wie sich ein Mann vor mir nackig macht, verursacht mir heute noch eine gruselige Gänsehaut.
Es hatte 10 Jahre später eigentlich auch eine Party geben sollen. Viel kleiner und ohne dieselben Gäste wie zum Vierzigsten. Nur hatte ich mir ein paar Tage vorher auf unserem Charter-Müritz-Boot den Fuss so schlimm verletzt, dass ich wochenlang nicht laufen konnte. Mein Mann, derselbe wie heute, mit dem ich damals gerade knappe 3 Jahre zusammen und noch im Status “verliebt” war, hatte mir trotz der Krücken-Barriere einen unvergesslichen Tag bereitet. Die geplante Wochenendtour mit der ausgeliehenen Harley war zu einem Kurztrip mit derselben durch die Stadt zusammengeschrumpft. Mit mir in Gartenlatschen auf dem Sozius. Wir hatten im “Maritim”-Hotel gefrühstückt und als Überraschung hatte es ein Gala-Dinner auf “Schloss Westerburg” gegeben. Nur zu Dritt in Familie. Und doch schöner als jede große Feier.
Meinen 52. Geburtstag hatten wir als Pärchen in Warnemünde verbracht. 
Genau da, wo wir 3 Jahre zuvor geheiratet hatten.
Und ein Jahr später war mein schönstes Geburtstagsgeschenk mein kleiner Enkel Willi gewesen. Und wir waren nach Chicago geflogen.
Letztes Jahr hatten wir uns noch einen schönen gemeinsamen Tag gemacht, der mit einem Termin im Rathaus von San Fernando begonnen und im Steakhaus “Abrasa-Grill” und viel spendiertem Schokoladen-Tequila geendet hatte. Auch schon spanisch. Und nur zu zweit. Das “Kind” war in Texas zum Schüleraustausch gewesen.
Und nun sitze ich hier ganz allein an meinem zweiten spanischen Geburtstag und wünsche mir eine der vielen Feiern zurück. Wirklich?
Das Telefon steht nicht still, eine WhatsApp jagt die andere. Aber alle sind so weit weg.
Ich muss mich ablenken.
Ich gehe jetzt in den Baumarkt um die Ecke! Mir mein Geburtstagsgeschenk kaufen: eine neue Brause für meine spanische Dusche, die unendlich verkalkt ist.
Genau die wünsche ich mir schon ein paar Wochen.
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