Goodbye Deutschland

Goodbye Deutschland ?

Die ersten Urlaubstage waren dann, wie immer, wenn man sich eingewöhnen muss, recht anstrengend. Wir hatten zu schlechte Internetverbindung für DUO, und es war noch sehr heiß. Alle Kinder hatten Spielzeug, was Willi auch unbedingt gebrauchen, aber nicht immer haben konnte. Pete meinte es gut und ging als “Familien-Jäger-und-Sammler” in den Ort um einzukaufen. Es sind von der Ferienanlage ca. 3 km zu laufen bis nach Arguineguin. Und er hatte wohl nicht bedacht, dass die Verpackung des Grillhähnchens im Rucksack vielleicht nicht dicht halten, oder aber auch das Stück frischer Lachs auf Eis sich aus seiner Tüte befreien könnte während der langen Rückwanderung von der Jagd. Als er bei uns ankam, stellte er positiv denkend fest, dass wenigstens der Rucksack glücklicherweise dicht gehalten hatte. Ich hatte dann eine größere Reinigungsaktion zu erledigen. “Rucksackspülen” gehörte noch nie zu meinen Lieblingstätigkeiten, und jetzt noch weniger! Die unangenehme Kombination von gemischtem Fisch-Brathähnchen bekomme ich nie wieder aus meiner Nase.
Auch klingelte die Putzfrau immer genau dann, wenn Willi mittags total kaputt vom Baden im Atlantik eingeschlafen war. Die mitgebrachten Schwimmflügel gingen kaputt… und wir schwitzten ohne Ende.
Das sollte besser werden. Willi gewöhnte sich an den Wellengang am Strand, wir kauften neue Schwimmflügel, der Putzfrau schrieben wir einen Zettel auf Spanisch, über den sich Leo sehr amüsierte, als ich ihr ein Foto davon schickte. Mit Hilfe meines Übersetzers im Smartphone hatte ich auf einen Zettel, den wir an der Tür befestigten, geschrieben: POR FAVOR NO MOLESTAR! EL BEBÈ ESTÀ DURMIENDO! Was soviel bedeuten sollte wie: BITTE NICHT STÖREN! DAS BABY SCHLÄFT! Als ich Leo den Zettel zeigte, sah ich sie sehr deutlich grinsen. Ich selbst hatte nie Spanisch gehabt und beneidete die Leute, die sich hier als Deutsche auf Spanisch verständigen konnten. Leo hatte in Texas den Spanischkurs Level 2 belegt, weil sie schon als Kind Spanisch lernen wollte, das aber an keiner Schule, die sie besucht hatte, möglich gewesen war. Das Niveau 1 war ihr zu einfach gewesen und Cynthia war skeptisch, als Leo den anspruchsvolleren Kurs jetzt gewählt hatte. Es machte ihr aber viel Spaß und sie lernte freiwillig in ihrer Freizeit. Die Lehrerin war auch sehr nett und sympathisch. 
Sie teilt mir mit, dass ihr Wunsch, Spanisch zu lernen, so langsam von dem Wunsch überlagert wird, HIER auf der Insel Spanisch zu lernen. Das heißt wohl, sie denkt ernsthaft darüber nach, ab nächstem Jahr hier zur Schule gehen zu wollen. Sie will wohl genauso gut spanisch lernen wie sie das eben mit der englischen Sprache tut, um hier auf Gran Canaria ihr Abitur zu machen. Aha! Das würde für UNS bedeuten, ernsthaft darüber nachdenken zu müssen, ob wir “auswandern” wollen würden und wie wir uns auf ein Leben auf der Kanareninsel vorbereiten müssten. Die äußeren Voraussetzungen konnten besser nicht sein: Mein Mann war pensioniert und ich aussortiert. Beide waren wir also, was Arbeit und Wohnort betraf, völlig vogelfrei.
Pete hatte schon im Vorfeld Verbindung zu einem deutschen Callcenter hier aufgenommen. Bisher allerdings waren alle Ideen noch “schwammig” und ungeordnet.
Alles entwickelt sich dann rasant. Pete bekommt ganz spontan einen Termin zur Vorstellung in der Firma, der auch sehr gut läuft. Man bietet dort sogar Hilfe an, eine Wohnung zu finden und alle steuerlichen Formalitäten zu klären. Eine Arbeit hier aufzunehmen ist für EU-Bürger nicht schwer. Man beantragt lediglich eine sogenannte “N.I.E-Nummer” und der Arbeitgeber meldet den Einzustellenden bei der Krankenversicherung an. Fertig! Klärt mein Mann mich nach dem Termin auf.
Als er dann aber bereits beginnt, im Internet nach passenden Wohnungen für uns zu suchen, wird mir doch ein wenig schwummerig, und es geht mir alles etwas zu schnell. Hoffentlich schaffe ich es noch rechtzeitig vor der Auswanderung, mich bei VOX zu “Goodbye Deutschland” anzumelden, gebe ich scherzhaft zu bedenken.
Nicht, dass ich mich in unserem kleinen Häuschen am Stadtrand von Magdeburg und meinem mühsam im “learning by doing”-Verfahren selbst gestalteten Garten nicht wohl gefühlt hätte, aber wenn ich ehrlich war, gefiel mir meine Heimat Deutschland schon seit längerem in so manch einer Hinsicht nicht mehr so gut wie früher. Und wenn Leo hier eine Möglichkeit haben würde, neben dem Spanischlernen auch noch ihr Abitur abzulegen, würden wir eine Möglichkeit finden. Die Frage, ob sie das wirklich und ganz ehrlich wollen würde, beantwortet sie deutlich mit einem “JA”! Und dabei bleibt sie auch nach nochmaligem Nachbohren.
Plötzlich sehe ich mich in ihr wieder, als wenn ich in einen Spiegel schaue. Wie gern hätte ich früher diese Möglichkeit gehabt! Wie gern hätte ich das ausprobiert!
Manchmal im Leben passt es. Wie jetzt. Oft aber auch nicht. Wie in meiner Jugend. Wir waren momentan in der Situation, dass es jetzt gerade passen würde. Wenn wir es wollen würden!
Wir hatten viele Sachen zu bedenken: Arbeit, Wohnung, Schule. UND unsere eigenen Spanisch-Unkenntnisse! Aber jetzt wollen wir erstmal Urlaub machen. 
Der Rest würde uns finden!
Wir rüsten Willi mit allem aus, was ein zünftiges Urlaubskind so alle braucht, einschließlich einem Schwimmring mit Mickey Mouse! Das Sandspielzeug kaufen wir in einem passenden Rucksack, wie ich es schon mit Leo gehandhabt hatte, damit das Kind alles komplett selbst zum Strand tragen kann und lernt, dass es kein Vergnügen ohne Mühe gibt im Leben!
Bei jedem Schritt mit Willi denke ich an Leo. Wie alt war sie jetzt? Waren wirklich schon 13 Jahre vergangen, seitdem wir hier in genau die gleichen Situationen wie jetzt mit Willi geraten waren. Die gleichen Orte, die gleichen Worte, ähnliche Probleme?
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