Panik im Calima

“Panik im Calima”

Bei Frühstück stellt ich durch ein Blick auf mein Handy fest, dass heute Freitag, der 13. war. Ging man nach draußen, hatte man das Gefühl man würde direkt in einen Backofen laufen, die Sonne kam nicht raus, und alles wirkte diesig und dunkler als sonst.
Mein Mann hatte die letzten drei Tage gearbeitet (ich übrigens auch, denn ich hatte es geschafft, mich wirklich ins schreiben zu vertiefen), heute wollten wir zu einer Bank nach San Fernando fahren ,um hier ein Konto zu eröffnen. Eine Kollegin hatte gemeint, in dieser Filiale würde es eine deutsche Mitarbeiterin geben, was die Sache ziemlich erleichtern würde. Am Freitag, dem 13.! Bei dem Wetter!? Das konnte nicht klappen.
In den Jahren vorher hatten wir oft einen Leihwagen gehabt, jetzt waren wir die sechste Woche hier und wollten, wie es echte Einheimische hier tun, den preiswerten Bus nutzen. Wir waren schon vorher das eine oder andere Mal mit dem Bus gefahren, nicht aber die Strecke an der Küste lang! Entweder wollte der Busfahrer immer schon lieber Rennfahrer sein, oder aber spanische Busfahrer haben heißes “Torero-Blut” und sind todesmutig. Mir war nach den ersten 4 Kurven bereits schlecht und ich schickte Stoßgebete zum hoffentlich existierenden “Schutzengel aller Busfahrenden”, der dafür sorgen sollte, dass wir unsere Fahrt heil beenden würden. Er erhörte uns und wir stiegen mit weichen Knien aus, irgendwie waren wir mitten in einer großen Wohn/Ferienanlage gelandet, keine Leute waren zu sehen.
Dank der modernen Technik sagte uns das Smartphone meines Mannes FAST genau wo wir uns befanden, und auch, dass es bis zur Bankfiliale nicht allzu weit sein konnte. Doch anscheinend war auch St. Google durch die schlimme Hitze negativ beeinflußt, denn die restlichen 2 km zogen sich extrem. Die Bankfiliale hatte glücklicherweise “el climatizador”, aber auch eine lange Schlange von Spaniern, die ein Mitarbeiter der Bank bediente. Einer! Ein zweiter bediente Kunden mit Termin in einem kleinen Nebenraum. Das Gemüt der Spanier muss man annehmen, wenn man hier leben wollte, wurde einem immer wieder gesagt. ich versuchte das schon mal...mehr oder weniger erfolgreich, denn wir standen über eine halbe Stunde, um dann von dem netten Herrn auf die zwei Stühle vor dem Nebenraum verwiesen zu werden. Ich versuchte spanisch zu bleiben, wenigstens konnte ich sitzen.
Nach einer weiteren halben Stunde (oder mehr?), ich war schon so spanisch, nicht ständig auf die Uhr zu schauen, durften wir dann eintreten, und wurden in gutem englisch informiert, dass die deutsche Mitarbeiterin in einer anderen Filiale arbeiten würde. Es entspann sich dann ein nettes Gespräch, das mit dem Ergebnis endete, dass wir für den nächsten Dienstag einen Gesprächstermin in der “Yumbo-Filiale” auf Deutsch haben würden. 
Mittlerweile war die Mittagszeit längst vorbei und auf der gegenüberliegenden Seite der Bankfiliale sahen wir ein kleines Tapas-Restaurant. Diese kleinen typisch spanischen Vorspeisen waren sehr lecker und kamen uns gerade recht. Die Kellnerin war sehr freundlich, wir kramten unsere 6-12 spanischen Worte aus, mit denen wir schon gut “caffee cortado condensada” (lecker starker Kaffee mit einem großen Löffel gezuckerter Kaffeesahne am Boden des Glases) und Wasser mit Kohlensäure bestellen konnten. Auch Bier und Wein ging schon auf Spanisch. Aber dafür war es noch viel zu heiß. Man kennt aus Deutschland und den Touristen-Restaurants Tapas-Platten, auf denen man dann von allen vorhandenen Tapas eine Kostprobe findet. Genau so etwas schwebte uns vor, aber irgendwie war es schwierig, der Kellnerin das verständlich zu machen. Wir kamen dann doch klar, und ich setzte mich wieder an den kleinen wackligen Tisch vor dem Restaurant, wo auch schon mein Mann saß. Die cleveren Spanier setzten sich in den klimatisierten Innenraum.
Es war dann wie bei “Tischlein deck dich”...nachdem wir Teller um Teller geleert hatten, wurde immer neue aufgetragen. Wir hatten bereits Brot, Schinken, Käse, Tortilla, Thunfischsalat, gekochtes Kaninchen, gefüllte Eier und Salat bekommen und waren bereits mehr als satt, als immer noch mehr kommen sollte. Wir mußten mit Händen und Füßen STOP signalisieren. Die Kellnerin hatte wohl irgendwie verstanden, dass ich ALLE Tapas hatte kosten wollen. 
Es ist grausig, wenn man sich nicht verständlich machen kann. Noch schlimmer, wenn man denkt, verstanden worden zu sein und etwas völlig anderes passiert als man erwartet hatte! Die Rechnung fiel entsprechend hoch aus, was aber mit gut 30 Euro noch zu ertragen war.
Taxis fahren hier überall und sind auf kürzeren Strecken viel preiswerter als zu Hause, also riefen wir uns eins und fuhren zur “YUMBO”, um schon mal die Bank-Lage für nächsten Dienstag zu erkunden. Ich hatte schon früher immer das Gefühl, den Baustil der Spanier nicht verstehen zu können. Als es die Kreisverkehre noch nicht gab, musste man immer zuerst nach rechts fahren, wenn man nach links wollte. Die Einkaufs-Center sind barrierefrei und in mehreren Etagen gebaut, kommen mir vor wie Ameisenhaufen, und ich habe darin keinerlei Orientierung, weil es überall Treppen und Wege gibt.
So auch hier, aber in riesig! Jahrelang waren viele Teile der “YUMBO” verweist gewesen, jetzt schien wieder alles vermietet zu sein. Ab ins Labyrinth! Ein lästiger Verkäufer in einem Kosmetikgeschäft merkte nicht, dass mein Mann schon mehr als genervt war und bat immer neue Rabatte an. Ein NEIN schien er nicht kennen, obwohl er gebrochen deutsch sprach. So bezahlte ich schnell meinen Sonnenschutz und folgte meinem gestressten Ehemann. Puh, die Hitze und dieser spanische Bau machten mich fertig.
Das erste Mal stieg leichte Panik in mir auf, mich niemals hier zurechtfinden zu können, die Spanier nicht zu verstehen und vom Touristenrummel genervt zu sein. in diesem Riesenbau in einer unbekannten Umgebung...ich wollte das erste Mal nach Hause seitdem ich angekommen war. Das Gefühl hier nicht klarzukommen und falsche Entscheidungen zu treffen, wurde übermächtig.
Dann meldete sich mein Handy und mit ihm meine Leo, diesmal als mein “Retter aus schlimmen Gedanken”. Sie war in Texas gerade aufgestanden und wollte wissen, was es Neues gab. Die Gespräche mit der Spanisch-Lehrerin, die dringend notwendig für einen eventuell anstehenden Schulbesuch hier an der deutschen Schule waren, mußte sie noch führen.
Da Leo ja noch nie Spanisch an einer deutschen Schule gehabt hatte, konnte von den Bestätigungen der Schule in Texas über Teilnahme und Inhalt, sowie Zensuren des dort laufenden Spanischkurses abhängen, ob sie hier aufgenommen werden würde.
Wieder kam leichte Panik auf. War das alles richtig? Wollte meine Leo das Ganze so unbedingt, dass sie dafür kämpfen würde und nicht bereuen würde, den Schritt von Texas nach Gran Canaria getan zu haben? Würde ich das packen?
Oh...das mußte an der Hitze liegen.
Das erste Mal formte sich in meinem Kopf das Wort AUSWANDERUNG. 
Das wäre es wohl, wenn wir hier eine Wohnung nehmen würden (was ja schon passiert war!), arbeiten würden (was ja mein Mann in reinster Form schon seit 3 Wochen betrieb) UND unser Kind eine der hiesigen Schulen besuchen würde.
Ach du meine Güte, so EXTREM hatte ich das noch gar nicht gesehen, und mir kamen aufeinmal viele der Geschichten in den Kopf, die ich bei VOX und seine Auswanderergeschichten gesehen hatte. Schlimme Geschichten...von teilweise schlimmen Leuten.
Gehörten wir jetzt auch zu den Verrückten, die sich nach einem Jahr oder ein wenig mehr im Ausland gescheitert und völlig abgebrannt, “am Ende mit den Nerven” und Beziehungsproblemen wieder bei ihrer Familie in Deutschland melden würden, um dort unterzukommen?? 
Ganz so schlimm würde es hoffentlich nicht werden, unser Häuschen wartete ja auf uns, auch, wenn mein Garten mir ein längeres Fernbleiben sicherlich übel nehmen würde.
Jetzt musste schnell etwas Leckeres her, und der “Schutzengel der Kaffee-und Orangensaftliebhaber” schickte uns geradewegs ins CAFÈ DER PARIS, eine der hübscheren Stellen in diesem Ameisenhaufen. Nach einem FRISCH GEPRESSTEN ging es mir ein wenig besser und ich hoffte auf meinen Mann, der den Weg zur Bushaltestelle sicherlich finden würde. Tat er auch, und es war diesmal gar nicht weit. Ich wollte mir alles merken: spanische Begriffe, Haltestellen, Wege...ich denke, ich wollte ein bißchen viel...und war froh, als wir wieder in unserer Anlage ankamen. Oberhalb des Berges, in das “wir” hineingebaut waren, hatte Heinrich, ein waschechter Wiener, einen kleinen Supermarkt und Imbiss und veranstaltete “im Hof” jeden Freitag “Hausmannskost-Büfetts”. Wir waren angemeldet, und ich glaube, ich habe mich noch nie so sehr auf “Rippchen satt” und ein schönes kaltes Bier gefreut, dessen Erholungs-und Seelenstabilisierungseffekt ich bisher wahrlich unterschätzt hatte.
“Essen und Trinken hält Leib und Seele zusammen!” gilt ja schon seit dem 17.Jahrhundert und kommt übrigens auch aus Spanien ;-) Der Ursprung liegt in dem Singspiel vom “Don Quixotte del la Mancia” von vor über 300 Jahren ;-)
DAS habe ich gegoogelt!
Außerdem lernte ich dazu: das heiße trübe und staubige Wetter, was momentan hier alle etwas nervte, nennt man “Calima”, ein heißer Windstrom der aus Afrika kommt. Ich dachte immer, das wäre einer dieser kleinen niedlichen Trickfilmfiguren, das Küken mit dem Ei auf dem Kopf...aber das war CALIMERO. Ich würde mich schon noch an die spanischen Ausdrücke gewöhnen!
Wir machten uns, froh über die abends herrschenden kühlen nur noch 30 Grad, auf den Weg in unser Bett. Ich drückte mein Gesicht in Willis Schlafanzug, der immer neben meinem Kissen lag und versuchte, die letzten Kleinkinder-Kuschel-Gerüche von ihm wahrzunehmen. Er fehlte mir sehr so nach 5 Wochen Fast-24-Stunden-Kontakt. 


Außer meinem lieben Mann war die ganze Familie so weit weg! Würde ich das aushalten auf Dauer?
Selbst Tante Erikas 70. Geburtstagsfeier am 30.Oktober mussten wir absagen. Ich hatte mich so gefreut, sah man sich doch auch nur ein-bis zweimal im Jahr, und keiner wußte, was die Zukunft bringen würde...

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